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Donnerstag, 15. August 2024
«Talahon» steht zur Wahl für das Jugendwort des Jahres. Junge Männer bedienen in sozialen Medien das Klischee mit Fake-Luxustaschen und Goldketten. Eine Expertin warnt vor Pauschalisierung.
Foto von Joshua Hoehne auf Unsplash
Berlin (dpa) - Junge Männer, oft mit Migrationshintergrund, tragen gefälschte Luxusklamotten und laufen mit Bauchtasche, Trainingshose und Goldkette durch die Innenstadt. Dazu provozieren einige mit veralteten Frauenbildern. So lautet zumindest das Klischee. Sogenannte Talahons sorgen aktuell in den sozialen Medien für Aufregung und teils rassistische Diskussionen über Migration und Jugendkultur.
Jetzt ist der Begriff für das Jugendwort des Jahres nominiert und bekommt noch einmal mehr Aufmerksamkeit. Was steckt eigentlich genau dahinter - und wieso kann das Wort problematisch sein?
Zunächst einmal: Der Begriff soll laut dem Langenscheidt Verlag, der das Jugendwort einmal im Jahr kürt, aus dem Arabischen kommen. «Tahal lahon» steht für «Komm her» und wird demnach für Menschen mit stereotypen Merkmalen oder Verhalten genutzt.
Auf Tiktok oder Instagram inszenieren sich besonders Jugendliche in Videos als vermeintlich typischer Talahon - also zum Beispiel mit Gucci-Cap und abrasierten Haaren seitlich am Kopf («Seiten auf null»). In anderen Beiträgen beschreiben einige ihr Frauenbild, etwa dass ihre potenzielle Freundin nicht allein ins Freibad dürfe.
Die Posts werden dabei oft mit dem Lied «TA3AL LAHON» des Rappers Hassan unterlegt. Den Song («Ich geb' dir ein'n Stich, bin der Patron») hat er schon im Jahr 2022 veröffentlicht. Im Musikvideo heißt es am Anfang, textliche Inhalte seien frei erfunden und das Video diene rein der Unterhaltung. Nun geht das Lied seit ein paar Monaten in den sozialen Medien durch die Decke.
Damit nicht genug: Eine Edeka-Filiale in Niedersachsen hatte zeitweise sogar ein Regal mit der Bezeichnung «Talahon» aufgestellt, in dem laut einer Unternehmenssprecherin Trendprodukte wie Limonaden oder Schokosorten standen, die sonst auch in Snackautomaten zu finden sind. Wegen kontroverser Diskussionen um den Begriff habe sich der Kaufmann aber entschieden, das Schild über dem Regal wieder abzunehmen.
«Es gibt nicht den einen Talahon. Im Endeffekt ist es ein sehr heterogenes und kein einheitliches Phänomen», sagt die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Rohmann, Co-Leiterin des Archivs der Jugendkulturen in Berlin. Denn nicht alle Talahon-Videos seien ernst gemeint. Viele verarbeiteten den Trend satirisch. Ein Nutzer tut zum Beispiel so, als sei er ein Arzt, der sich wie ein Talahon verhält.
Andere hielten in ihren Videos der Gesellschaft ein Stück weit den Spiegel vor. Doch: «Manche fühlen sich damit stark und da spielen teilweise sicherlich Themen wie Frauenverachtung mit, was problematisch ist», sagt sie. «Diesen Jugendlichen muss man natürlich die Grenzen zeigen und sagen: "Stopp. Das geht so nicht" und mit ihnen dazu arbeiten, diese Haltungen und dieses Verhalten zu hinterfragen und abzulegen.»
Auch der Stil der Talahons ist laut der Sozialwissenschaftlerin nicht neu. Er habe sich durch die Popularität von Hassans Song nun einfach stärker verbreitet, auch bei Nutzerinnen. Sie zeigen sich teilweise als das weibliche Pendant - den Talahinas. Für Rohmann ist das eine Art «Spiel zwischen Jungs und Mädchen», das man in verschiedenen Jugendkulturen beobachten könne.
Doch nicht alle gehen bei dem Trend mit. Im Gegenteil: Er liefert Stoff für rechtspopulistische oder rassistische Kommentare. Rohmann warnt vor Pauschalisierung. Man müsse den Einzelfall betrachten und genau hinschauen. «Das ist eigentlich das Gleiche wie beim Gangster-Rap, der schnell sehr gerne pauschal verurteilt wird, obwohl es dort auch alle möglichen Nuancen und Deutungsmuster gibt.»
Die Prozesse der Stigmatisierung sind laut der Expertin schon lange im Gang. «Die "Neue Rechte" fokussiert sich darauf, dass diese Jugendlichen aus ihrer Sicht ein Synonym für gescheiterte Integration sind und generell alles eine Katastrophe ist.» Die Klischees und Vorurteile gebe es schon seit vielen Jahren, etwa wenn man auf die Diskussion rund um die Silvesternacht 2015 in Köln schaue.
Mit «Neue Rechte» wird eine Szene beschrieben, die Vorstellungen von einem ethnisch homogenen Staat mit autoritären Zügen vertritt und sich gleichzeitig von Rechten absetzt, die sich auf den Nationalsozialismus berufen.
Menschen dieser Szene und den dazugehörigen Parteien nutzten solche Trends, um die eigenen Diskurse zu stärken. «Das ist eine ganz gefährliche Geschichte, weil diese Stigmatisierung zum einen keine Berechtigung hat», so Rohmann. «Zum anderen führt sie dazu, dass sich wiederum junge Menschen mit Migrationsgeschichte oder vermeintlicher Migrationsgeschichte von den Rechten ausgegrenzt fühlen, das teilweise wieder aufgreifen und teils gegebenenfalls aggressiv reagieren können.»
Auch der Langenscheidt Verlag verfolgt laut eigenen Angaben die Diskussion. Jugendliche hätten «Talahon» für die Auswahlliste des Jugendworts oft eingereicht. Es zeige, wie schnell und dynamisch sich Jugendsprache sowie deren Bedeutung und Nutzung entwickeln könne. Sie habe schon immer positive, negative und auch kontroverse Wörter.
«Die Deutung und Nutzung des Wortes ist noch nicht eindeutig oder abgeschlossen, weshalb wir es für ein gutes Beispiel lebendiger Jugendsprache erachten, auch wenn die Nutzung ambivalent und nicht immer in einem positiven Sinne ist», teilt der Verlag mit. Sollte sich die Nutzung in Zukunft klar in Richtung Stigmatisierung und Diffamierung entwickeln, behalte er sich eine Streichung vor. Eine Streichung zum jetzigen Zeitpunkt würde dem Vorwurf der Zensur Vorschub leisten. Man habe sich entschieden, die erwartbare Debatte zu unterstützen. Das Jugendwort solle ein Spiegel der Zeit sein, hieß es weiter.
Aus insgesamt zehn Kandidaten kann man aktuell über die Top 3 abstimmen. Bis zum 8. Oktober wird dann unter den Finalisten gewählt. Das Siegerwort soll danach auf der Frankfurter Buchmesse verkündet werden.
Von Sabrina Szameitat, dpa