Sonntag, 01. Dezember 2019

Freitagsproteste - Zukunftsangst contra Schulpflicht

Die Freitagsproteste der Schülerinnen und Schüler gegen die Klimapolitik haben eine Debatte über die damit verbundene Verletzung der Schulpflicht ausgelöst.

Was fordern die Schüler?

Die Freitagsproteste der Schüler unter dem Motto „Fridays for Future“ unterscheiden sich von früheren Jugendbewegungen durch ein entscheidendes Merkmal: Die Forderungen der Schülerinnen und Schüler sind in keiner Weise revolutionär oder gar subversiv, sondern in weiten Teilen der Gesellschaft mehrheitsfähig. Kurioserweise finden die Proteste sogar zumindest teilweise Zustimmung bei denen, gegen die sie sich richten. Im Kern fordern die Demonstranten einen konsequenten Klimaschutz, der beispielsweise durch eine schnellere Abschaltung der Kohlekraftwerke und die Einführung einer CO2-Steuer vorangetrieben werden soll. Sowohl die Ziele als auch die vorgeschlagenen Maßnahmen finden nahezu einhellige Zustimmung in der Wissenschaft. Auch die Politik hat sich grundsätzlich diesen Zielen verpflichtet, beispielsweise im Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung. Die wirksame Umsetzung scheitert allerdings regelmäßig an wirtschaftlichen Interessen. Es ist exakt dieser Widerspruch, der die Schüler auf Straße treibt. In Reden und auf Klimakonferenzen geriert sich die deutsche Regierung als weltweiter Vorreiter für den Klimaschutz, in der Praxis ist sie selbst innerhalb der EU eines der Schlusslichter bei der Umsetzung von konkreten Maßnahmen. 

Wie positioniert sich die Politik inhaltlich?

Mit Ausnahme der AFD, die jedwede Klimapolitik als entbehrlich erachtet, unterscheiden sich die inhaltlichen Positionierungen der Spitzenpolitiker nur graduell. Die Linkspartei und die Grünen unterstützen die Forderungen der Demonstranten nahezu uneingeschränkt. Union und FDP unterstützen die Forderungen ebenfalls grundsätzlich, weisen aber stärker auf vermeintliche oder tatsächliche ökonomische Sachzwänge hin. Selbst die sicherlich als eine der Hauptadressatinnen der Proteste zu betrachtende Bundeskanzlerin Angela Merkel lobt die Proteste, weil diese sie erneut auf die Dringlichkeit des Problems hinwiesen. Außerdem seien die Proteste ein Nachweis für politisches und gesellschaftliches Engagement. Auch der Vorsitzende der FDP, Christian Lindner, ließ wissen, er würde sich ebenfalls an den Demonstrationen beteiligen, wenn diese außerhalb der Schulzeit stattfänden. Insofern ist es bemerkenswert, dass die Protestwelle nicht schnell abebbte. Üblicherweise stellt die Konfrontation mit dem Gegner ein wichtiges Mittel zur Mobilisierung dar. Den Teilnehmern an den Fridays for Future Demonstrationen steht kein klar zu definierender Gegner gegenüber. Sie werden selbst von denen gelobt, gegen die sie demonstrieren. 

Konflikt mit der Schulpflicht

Die rechtliche Situation ist eindeutig: Die Proteste stellen eine Verletzung der Schulpflicht dar und sind daher unzulässig. Einige Schulen haben die Proteste zu schulischen Veranstaltungen umdeklariert, was allerdings angesichts der Regelmäßigkeit der freitäglichen Demonstrationen nicht dauerhaft möglich war. Zudem haben meist die Landesregierungen beziehungsweise die zuständigen Bezirksregierungen dieses Vorgehen untersagt. Weniger eindeutig ist dagegen, welche Sanktionen gegen die Schüler verhängt werden können oder müssen. In den meisten Fällen wird es vermutlich darauf hinauslaufen, dass die unentschuldigten Fehlstunden im Zeugnis vermerkt werden. Äußerungen seitens der Teilnehmer deuten allerdings darauf hin, dass dies eher als Auszeichnung denn als Sanktion wahrgenommen wird. 

Der Regelverstoß ist Teil des Konzepts von Fridays for Future

Entscheidend ist die Frage, warum die Schüler während der Schulzeit und nicht während ihrer Freizeit demonstrieren. Zu einfach machen sich die Antwort sicher diejenigen, die Faulheit als Grund vermuten und den Schülern unterstellen, lediglich einen Vorwand für das Schulschwänzen zu suchen. Dazu zeigen sich die Schüler in ihrer Mehrheit einfach als zu gut über die Thematik informiert. Es bestehen keine Zweifel, dass zumindest die überwiegende Mehrheit der Schüler ein ernsthaftes Anliegen auf die Straße treibt. Ein Grund dafür, die Demos während der Schulzeit abzuhalten, ist einfach der Ursprung dieser Bewegung. Greta Thunberg, die Urheberin der Bewegung, hat den Protest ausdrücklich als Schulstreik für das Klima ins Leben gerufen. Daher lag es nahe, diese Idee zu übernehmen. Außerdem war den Organisatoren selbstverständlich bewusst, dass nur dieser Regelverstoß ihnen eine nennenswerte öffentliche Aufmerksamkeit garantiert. Hätte sich die Bundeskanzlerin zu ein paar Schülern öffentlich geäußert, die am Samstagnachmittag außerhalb der Schulzeit für das Klima demonstrieren? Wäre dieser Protest auf allen Fernsehsendern und Nachrichtenportalen thematisiert worden? Sicherlich nicht! Vermutlich werden die Schüler aufmerksam registriert haben, dass selbst Demonstrationen mit hunderttausenden Teilnehmern - wie beispielsweise die „Unteilbar-Demo“ am 13. Oktober 2018 in Berlin - seitens der Politik weitgehend ignoriert werden, wenn sie friedlich und ohne Regelverstöße ablaufen. 

Fazit: "Sundays for Future" würde kaum funktionieren! 

Der Schulstreik ist das einzige an der Fridays for Future Bewegung, das als provokant wahrgenommen wird. Trotz der Demonstrationen während der Unterrichtszeit befinden sich die Schülerinnen und Schüler in einer Art von „Umarmungsfalle“. Es muss den Schülern fast peinlich sein, ausgerechnet von einigen Hauptadressaten ihres Protests als brave Schüler gelobt zu werden, die im Unterricht immer gut aufgepasst haben und deswegen so viel über den Klimawandel gelernt haben. Zur perfekten Harmonie fehlt eigentlich nur noch das in solchen Fällen obligatorische "Und wenn du mal groß bist, wirst du einsehen..." Hätten sie die Demonstrationen in ihrer Freizeit durchgeführt, wäre der Protest kaum mehr als Protest erkennbar gewesen. Daher wird auch teilweise die nachvollziehbare Position vertreten, ein völliger Verzicht auf Sanktionen könnte sich am Ende als kontraproduktiv erweisen. Der Protest würde damit endgültig zum Schulausflug degradiert. Zu den Nebenwirkungen des Schulstreiks gehört aber eben auch, dass das Wichtigste in der Diskussion kaum eine Rolle spielt: Die Schülerinnen und Schüler haben Angst um ihre Zukunft, und zwar aus guten Gründen. Aber kein Minister wird sie deshalb zu "besorgten Bürgern" adeln, deren Ängste unmittelbares Handeln erfordern. 

 

Autor: A.V.