Hilferuf an Schule - Ex-Rektor empfiehlt klare Regeln
Zu wenig Lehrer und zahlreiche Schüler, die kaum oder schlecht Deutsch sprechen und gegen Schulregeln verstoßen: Diese Probleme schildern Lehrer einer Berliner Schule. Nun gibt es Ratschläge.
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Samstag, 08. Februar 2020
In Deutschlands Schulen könnte es in den nächsten Jahren zu einem eklatanten Lehrermangel kommen, wenn die Politik nicht rechtzeitig gegensteuert.
Anfang 2018 machte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung auf ein Problem aufmerksam, das Bildungsexperten schon länger Sorgen bereitet: Deutschland hat zu wenig Lehrer, um den derzeitigen und zukünftigen Bedarf an den Schulen abzudecken, wachsende Schülerzahlen verschärfen das Problem zusätzlich. Eine Prognose der Kultusministerkonferenz geht mittlerweile von einem zusätzlichen Einstellungsbedarf von 30 000 Lehrern pro Jahr bis zum Jahr 2030 aus. Dabei ist die Lage je nach Schulform und Bundesland durchaus unterschiedlich: Am stärksten vom Mangel an Fachpersonal betroffen sind Berufsschulen und Grundschulen, auch Lehrer mit sonderpädagogischer Ausbildung werden dringend gesucht – dies hauptsächlich in den ländlichen Gebieten, aber auch in einigen Ballungszentren und an Brennpunktschulen ist der Mangel besonders gravierend. Insgesamt gelten die Prognosen zwar für das gesamte Bundesgebiet, Ostdeutschland ist aber stärker betroffen als die westlichen Bundesländer.
Noch Anfang der 2000er-Jahre sah die Situation ganz anders aus. Damals herrschte ein Überschuss an Lehrkräften, Personalentwicklungskonzepte gingen von einem viel geringeren Bedarf für die nächsten Jahre aus, entsprechend wenig Lehrer wurden neu eingestellt. Dieser Planungsfehler rächt sich nun, zumal nicht einfach nachbesetzt werden kann. Denn es fehlt nicht nur an ausgebildetem Personal, sondern teilweise auch an der Attraktivität des Berufes: Nicht zuletzt die Bezahlung hält viele davon ab, eine Ausbildung zum Grundschullehrer in Angriff zu nehmen. Ganz anders ist das Verhältnis von Lehrer- zu Schüleranzahl dagegen im Gymnasialbereich, dort kennt man den Fachkräftemangel nur vom Hörensagen. Das ist auch ein Grund dafür, dass manche Länder versuchen, dem Problem durch Abwerben von Gymnasiallehrern beizukommen – aufgrund der üblicherweise niedrigeren Entlohnung allerdings nur mit bedingtem Erfolg.
Die konkreten Auswirkungen des Lehrermangels zeigen sich bereits in den Klassenzimmern: Viele Grundschüler sind mittlerweile daran gewöhnt, auf andere Klassen verteilt zu werden, wenn der Lehrer oder die Lehrerin erkrankt. Dass das Lernen und die Konzentrationsfähigkeit in den überfüllten Klassenzimmern in der Folge leiden und die Kinder durch die ständigen Veränderungen gestresst sind, verwundert nicht wirklich. Auch häufige Änderungen des Stundenplans, ein verspäteter Schulbeginn oder früherer Schulschluss gehören für diese Schüler zum Alltag und sorgen bei Eltern regelmäßig für Verunsicherung und Ärger: Wo sie in letzter Minute Betreuung für ihr Kind finden, bleibt alleine ihr Problem.
Besonders betroffene Schulen versuchen daher, Notlösungen für Zeiten des akuten Personalmangels – zum Beipiel während einer Grippewelle – bereit zu halten. Manche setzen Rentner und Rentnerinnen als zusätzliches Betreuungspersonal ein – diese dürfen aber ohne entsprechende Ausbildung nicht unterrichten. Dasselbe gilt für Lehramtsstudenten: Ohne abgeschlossene Ausbildung dürfen sie gewöhnlich nicht für vollwertige Unterrichtstätigkeiten herangezogen werden. Die Ausbildung zum Lehrer dauert durchschnittlich aber sechs bis sieben Jahre – viel zu lange, um aktuell bestehende Problemlagen kurzfristig entschärfen zu können. Was für Lösungen bieten die zuständigen Kultusminister nun aber an?
Einer der Lösungsversuche, die zu teilweise heftigen Protesten geführt haben, ist die Erhöhung der Einstiegsgehälter für Grundschullehrer über die Änderung der Besoldungsstufe von A12 auf A13 in manchen Bundesländern: Sie führe durch die fehlende Abstimmung unter den Ländern zu einer Abwerbesituation, die das Problem in manchen Regionen sogar weiter verschärfen könne. In Brandenburg wurde diese Regelung dennoch mit 1.1.2019 umgesetzt, Berlin folgt mit 1. August – allerdings wird es dort keine Verbeamtung geben, die in anderen Bundesländern ebenfalls als Anreiz für den Berufseinstieg dienen soll. Auch Sachsen hat die Besoldungsstufe A13 für Grundschulpädagogen bereits seit längerem umgesetzt, die Verbeamtung wurde dort mit 1.1.2019 eingeführt.
Andere Länder setzen eher darauf, die Attraktivität des Berufes zu erhöhen: Lehrerinnen und Lehrer sollen entlastet werden, weniger Bürokratie und mehr Zeit für Pädagogik lautet das Motto. Die Anstellung zusätzlicher Sozialpädagogen soll dafür sorgen, dass das Lehrpersonal seinen eigentlichen Aufgaben nachkommen kann, Schüler und Schülerinnen mit besonderem Förderbedarf oder innerfamiliären Problemen aber ausreichend Unterstützung erhalten.
Durch höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen allein lassen sich allerdings noch keine Lehrer aus dem Hut zaubern – das Nachwuchsproblem ist damit also noch nicht behoben. Auch hier gibt es Vorschläge, wie man dem Problem Herr werden könnte. Dass mehr Lehrer ausgebildet werden müssen, darüber ist man sich grundsätzlich einig: Bayern hat die Anzahl der verfügbaren Studienplätze für Lehramtsstudenten bereits erhöht, andere Bundesländer dürften nachziehen. Kurzfristig gilt es aber, Regionen, in denen der Mangel an Pädagogen schon zu deutlichen Schwierigkeiten in der Unterrichtsorganisation geführt hat, zu versorgen. Dafür haben die Autoren der Bertelsmann-Studie vor allem zwei Lösungsansätze parat:
- Teilzeitbeschäftigte und kurz vor der Pensionierung stehende Pädagoginnen und Pädagogen sollen dazu animiert werden, ihre Stundenverpflichtung zu erhöhen – vor allem unter dem weiblichen Lehrpersonal ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten traditionell hoch. Diese Maßnahme beruht allerdings auf Freiwilligkeit, ob das Angebot in ausreichendem Ausmaß angenommen wird, bleibt abzuwarten.
- Quereinsteigern soll ein schnellerer Berufseinstieg ermöglicht werden – ein Ansatz, der in vielen Bundesländern ohnehin schon zum Alltag gehört. Allerdings bedeutet dies, dass eine ausreichende Qualifikation der Quereinsteiger sichergestellt werden muss: Bereits in einem anderen Beruf ausgebildeten Personen wird der Umstieg in die Lehrertätigkeit durch eine verkürzte, berufsgleitende Ausbildung und Mentoringprogramme ermöglicht. An dieser Vorgehensweise gibt es durchaus auch Kritik: Es würden damit fachlich und pädagogisch ungeeignete Personen in den Klassen unterrichten, bevor sie dazu qualifiziert sind – dadurch würden die Unterrichtsqualität und letztlich die Schülerinnen und Schüler leiden. Eine Alternative zu diesem pragmatischen Ansatz haben aber auch die Kritikerinnen nicht parat – sie betonen jedoch, dass es sich dabei um eine Ausnahme handeln sollte, die nicht gängige Praxis werden dürfe.
Abschließend darf daran erinnert werden, dass bereits in den 1980er Jahren von einer drohenden Lehrerschwemme die Rede war. Das hatte zur Folge, dass viele aus Angst vor drohender Arbeitslosigkeit davon absahen, den Lehrerberuf zu ergreifen – bis einige Jahre darauf wieder verstärkt für den Beruf geworben wurde, weil ein zukünftiger Mangel absehbar wurde. Ob wir derzeit vor einem ähnlichen Zyklus stehen und der Mangelberuf Lehrer schon in einigen Jahren keiner mehr sein wird, wird sich zeigen.
Autor: B.Z. für SCHULEN.DE