Sonntag, 08. September 2019

Deutschlands Schulen sind ein Sanierungsfall

Obwohl die politisch Verantwortlichen wissen, dass die Zahl der schulpflichtigen Kinder kontinuierlich steigt, sieht die Realität anders aus: Das für die Sanierung maroder Schulgebäude benötigte Geld ist entweder nicht vorhanden oder kommt nicht dort an, wo es hingehört: bei den Schulen.

Viele Schulen sind baufällig

Deutsche Schulen befinden sich in einem sehr schlechten Zustand. Auch wenn es vereinzelte Baumaßnahmen gibt, wird der Sanierungsstau immer größer: Vielerorts fällt der Putz von den Wänden. Einzelne Bereiche müssen sogar wegen drohender Einsturzgefahr abgesperrt werden. Heizungen und Toiletten sind defekt. Regenwasser tropft durch die undichten Dächer in die Klassenzimmer. Um den Schulbetrieb wenigstens halbwegs aufrechtzuerhalten, werden manche Klassen in anderen städtischen Gebäuden unterrichtet. Der schon seit Jahrzehnten bestehende Investitionsrückstand ist nach Ansicht des Hauptgeschäftsführers beim Deutschen Städte- und Gemeindebund Gerd Landsberg das Versäumnis der Bundesländer. Denn laut aktuellen Berechnungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) fehlen den deutschen Kommunen derzeit ungefähr 48 Milliarden Euro, um die baufälligen Schulgebäude zu modernisieren. 

Fall 1: Notmaßnahmen in Hessen

Hessen gehört zu den wirtschaftlich gesündesten Bundesländern Deutschlands. Dennoch geht es dort mit der überfälligen Schulsanierung nicht voran. Schüler, die nach den Weihnachtsferien zum Unterricht kommen, müssen den Heimweg antreten, weil in den Klassenzimmern eine Temperatur von 11 °C herrscht: Die ohnehin schon uralte Heizungsanlage ist endgültig ausgefallen. Da das Schulgebäude für die vielen Schüler zu klein ist, wird die gesamte Oberstufe im örtlichen Arbeitsamt unterrichtet. Der engagierte Schulleiter lässt einige weniger umfangreiche Modernisierungen durchführen, damit manche Gebäudeteile noch genutzt werden können und sich seine Schüler wenigstens ein bisschen wohlfühlen. Für mehr ist jedoch kein Geld da. Der Grund: Die Behörden wollen schon seit zehn Jahren an derselben Stelle einen Schulneubau errichten. Passiert ist natürlich noch nichts. 

Wie in dieser hessischen Schule, die noch nicht einmal zu den sanierungsbedürftigsten Gebäuden gehört, improvisiert man in Deutschland tagtäglich, um den Unterricht trotz widriger Umstände abhalten zu können. An anderen Schulen Hessens streichen Eltern, Lehrer und Schüler in den Ferien die Klassenräume mit Farben, die den bröckelnden Putz ausreichend verdecken. Die für den Unterricht benötigten Computer bekommen sie von Firmen, die ihre alte IT durch neue Geräte ersetzen. 

Fall 2: Programm "Gute Schule 2020" funktioniert nicht richtig

Nach dem Start des Sanierungsprogramms "Gute Schule 2020" der nordrhein-westfälischen Landesregierung riefen die berechtigten Kommunen nur die Hälfte der bereitgestellten Fördergelder ab. Schuld daran sind Probleme bei der Planung: Die Schulen haben nur während der Sommerferien Zeit für die notwendige Sanierung. Dieser Planungshorizont reicht dafür nicht aus. Außerdem nehmen viele Bauunternehmen und Handwerksbetriebe lieber Aufträge von privaten Investoren an, weil sie bei diesen die Preise selbst bestimmen können. Wegen der boomenden Bauwirtschaft haben sie es nicht nötig, sich auf öffentliche Ausschreibungen zu bewerben. 

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass die Bauämter selbst zu wenig qualifiziertes Personal haben, das die Sanierung der Schulen planen und überwachen könnte. Überall fehlen Bauingenieure und Planer. Viele von ihnen wurden Opfer der jahrelangen drastischen Sparmaßnahmen. Eine Nachbesetzung der noch vorhandenen Stellen ist oft unmöglich, weil die Fachkräfte wegen der besseren Bezahlung lieber in der Privatwirtschaft arbeiten. Ein weiteres Hemmnis stellt das Kooperationsverbot dar: Laut deutscher Verfassung dürfen die Schulen vom Bund keine Finanzmittel erhalten. Das soll sich aber angeblich ändern. Planung und Durchführung der Baumaßnahmen sollen danach jedoch weiterhin Sache der jeweiligen Kommune sein. 

Änderung der aktuellen Förderpraxis dringend notwendig

Fakt ist, dass die Kommunen nicht ausreichend finanzielle Mittel haben, um die dringend erforderlichen Schulsanierungen selbst zu bezahlen. Daher fordert der für Bildung zuständige Referent beim baden-württembergischen Städtetag Norbert Brugger eine Gemeinschaftsinitiative, die die derzeitige Förderpraxis verbessert. Denn die Sanierungsmaßnahmen werden von den Ländern finanziell nicht unterstützt. Außerdem müsse das Programm für die Modernisierung der Schulen langfristig angelegt sein. Dafür wäre eine Fortschreibung der Schulbauförderrichtlinie nötig. Nicht mehr die Erweiterungen und der Bau neuer Schulen sollten im Fokus stehen, sondern energetische Sanierungen und dringende Renovierungsmaßnahmen: Die Mehrzahl der Gebäude sind nur unzureichend gedämmt, weil sie in den 1970er- und 1980er-Jahren entstanden. Hinzu kommen noch Kosten für die bauliche Umsetzung der Brandschutzvorschriften. Und ohne diese können die Schulen nicht in Betrieb genommen werden. 

Doch nicht nur kleinere Städte sind außerstande, den Sanierungsbedarf zu bewältigen. Großstädte wie Mannheim, Stuttgart und Freiburg investierten in den letzten zehn Jahren dreistellige Millionenbeträge, um ihre maroden Schulen besser nutzbar zu machen. Dennoch reichen diese Summen längst nicht aus, um alle Bauten zu modernisieren. Die von vielen Kommunen ersehnte Änderung der Förderpraxis trifft im Kultusministerium natürlich auf taube Ohren: Der Umbau von Schulgebäuden habe wegen der neuen Lehr- und Lernmethoden Vorrang. Die Sanierung des Bestandes liege außerdem im Verantwortungsbereich der Kommunen. 

Sind öffentlich-private Partnerschaften die Lösung?

Das Konzept der öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) könnte den längst überfälligen Sanierungsschub bewirken: Bei diesem Modell würde ein privater Bauträger sämtliche Aufgaben rund um das Schulgebäude übernehmen. Dazu gehören die Bauplanung, Finanzierung des Vorhabens, Durchführung der Baumaßnahme und der sich anschließende Betrieb des Gebäudes. Die Kommune selbst müsste lediglich eine Gebühr für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen bezahlen. Das innovative Konzept verspricht zwar einen größeren Erfolg als die bisher praktizierten Lösungen, ist aber vielen politisch Verantwortlichen ein Dorn im Auge. Sie möchten öffentliche Aufgaben nicht an Wirtschaftsunternehmen abgeben, weil sie befürchten, dass dann nur die Schulen saniert werden, von denen sich die betreffende Firma hohe Einnahmen erhofft.

 

Autor: F.H. für SCHULEN.DE