Samstag, 27. November 2021

Ansturm auf Kinderarztpraxen: Verband fordert Corona-Bonus

Die Telefone laufen heiß bei den Kinderärzten, mitten in der vierten Corona-Welle. Dabei haben die meisten Kinder andere Infekte als das Virus. Doch viele Eltern sind verunsichert.

Wenn die Kleinen mal wieder husten und fiebern, sind viele Eltern angesichts der Corona-Entwicklung derzeit besonders beunruhigt: Hat mein Kind Corona? Die Fallzahlen sind bei Kindern und Jugendlichen in der vierten Welle schließlich überdurchschnittlich hoch, auch weil sie in der Regel erst ab 12 Jahren geimpft werden. Teils bestehen auch Kindertagesstätten darauf, selbst kleinere Infekte ärztlich abklären zu lassen, bevor sie die Kinder wieder betreuen. Die Folge: Ein Ansturm auf die Kinderärzte.

«Unser Personal arbeitet seit Monaten am Limit», berichtet die Göttinger Kinderärztin Tanja Brunnert, die in Niedersachsen für den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) spricht. Die Zahl der Anrufe sei extrem gestiegen, telefonisch seien die Praxen teils kaum mehr zu erreichen. «Unsere Mitarbeiterinnen laufen auf dem Zahnfleisch, das kann man nicht anders sagen.» Brunnert fordert daher einen Corona-Bonus auch für die Medizinischen Fachangestellten (MFA). Bisher gebe es diesen nur für die Beschäftigten der Krankenhäuser, doch die Corona-Welle mache auch den Praxen stark zu schaffen.

Dabei seien die meisten kleinen Patienten gar nicht an Corona erkrankt. «Die wirklich kranken Kinder haben meist einen anderen Infekt», sagt Brunnert. Unzählige Corona-Tests, Nachfragen der Eltern und auch Corona-Impfungen für die Jugendlichen machen jedoch auch den Angestellten in den Praxen stark zu schaffen.

Aus den Daten des Robert Koch-Instituts für Niedersachsen geht hervor, dass die Corona-Inzidenz bei Kindern teils extrem über dem Gesamtwert der Bevölkerung liegt. So kommen die Sechs- bis Elfjährigen auf 453,4 Neuinfektionen pro 100 000 Altersgenossen binnen einer Woche. Insgesamt liegt die Inzidenz bei rund 180.

Aktuell ist zudem mehr als jede vierte Schule von Corona-Fällen betroffen, wie das Kultusministerium am Mittwoch auf Anfrage mitteilte. Aus 860 Schulen der rund 3000 im Land wurden demnach Positivfälle gemeldet, betroffen sind etwa 2780 Schülerinnen und Schüler sowie knapp 260 Beschäftigte.

Aber auch jenseits von Corona erkrankten Kinder und Jugendliche derzeit offenbar etwas häufiger als in den Vorjahren, erklärt Kinderärztin Brunnert. «Es scheint so zu sein, dass sich die Infekte des gesamten Jahres nun in den letzten drei Monaten des Jahres zeigen.» Das wiederum verstärke die Verunsicherung der Eltern nur noch weiter. «Die Eltern sind es nicht mehr gewöhnt, kranke Kinder zu haben. Die hatten anderthalb Jahre keine Virusinfekte.» Jetzt dagegen geht beispielsweise auch das RS-Virus um, ein Erkältungserreger.

Das RKI hatte bereits im Sommer prognostiziert, dass im Herbst und Winter mit mehr Kindern und Jugendlichen zu rechnen sei, die für akute Atemwegsinfekte empfänglich sind. Das könne zu einer Verschiebung saisonaler Erkrankungswellen führen, hieß es. Schwerere Verläufe wegen eines weniger trainierten Immunsystems erwartete die Deutsche Gesellschaft für Immunologie hingegen nicht. «Das Immunsystem darf man sich nicht als Muskel vorstellen, der sich in der Pandemie zurückgebildet hat», erklärte der Generalsekretär der Gesellschaft, Carsten Watzl, dazu im Juli.

Die Präsidentin der niedersächsischen Ärztekammer (ÄKN), Martina Wenker, sieht die Kinderarztpraxen in diesem Herbst ebenfalls vor Herausforderungen. Die für die Jahreszeit typischen Atemwegsinfekte träfen derzeit auf die vierte Corona-Welle und die Corona-Impfungen - zusammen bedeute das eine maximale Belastung für die Praxen. Wenker warnte zudem davor, sich nur noch auf Corona zu konzentrieren. Auch Vorsorgeuntersuchungen und andere Impfprogramme müssten eingehalten werden, mahnte sie. «Die anderen Krankheiten machen ja keine Pause.»

Von der Politik wünscht sich Brunnert vom Kinderärzte-Verband daher mehr Wertschätzung und langfristig bessere Arbeitsbedingungen. «Es muss möglich werden, eine Praxis zu führen, ohne im Hamsterrad mit vielen viel zu kurzen Terminen zu arbeiten», sagt sie. «Dann schaffen wir es langfristig auch, wieder mehr junge Ärztinnen und Ärzte für die Niederlassung zu begeistern.» Damit wäre auch vielen besorgten Eltern und den kranken Kleinen geholfen.

Von Christopher Weckwerth, dpa