Samstag, 25. Juni 2022
Schulkinder nach Distanzunterricht mit großen Handschrift-Defiziten
Der digitale Wandel und die Corona-Pandemie haben unter anderem bei der Handschrift von Schülerinnen und Schülern Spuren hinterlassen.
Erfurt/Heroldsberg (dpa/th) - Der bundesweite Trend zu einer Verschlechterung der Handschrift als Folge des Distanzunterrichts in der Corona-Zeit macht sich Experten zufolge auch in Thüringen bemerkbar. Sowohl der Thüringer Lehrerverband (tlv) als auch das Kultusministerium erzählten der Deutschen Presse-Agentur von dieser Beobachtung.
Die Entwicklung einer eigenen Handschrift werde zunehmend erschwert, sagte der Sprecher des Kultusministeriums, Felix Knothe. Grund sei unter anderem der stark unterschiedliche Bildungsstand der Schülerinnen und Schüler, der Lehrermangel sowie die stetige Digitalisierung.
«In der Corona-Zeit war so gut wie keine individuelle Förderung möglich. Die ohnehin schon bestehenden Probleme mit dem Schreiben haben sich in dieser Zeit bei vielen Schülern verschärft», erklärt Marianela Diaz Meyer, Leiterin des Schreibmotorik-Instituts im bayrischen Heroldsberg.
2022 hatte die Einrichtung gemeinsam mit dem Verband Bildung und Erziehung zum dritten Mal eine bundesweite Studie zur Handschrift von Schülern durchgeführt. Darin hatten rund drei Viertel der 850 befragten Lehrkräfte bei ihren Schülerinnen und Schülern eine teils deutliche Verschlechterung im Handschreiben festgestellt.
Schwierigkeiten gab es demnach vor allem bei Schreibgeschwindigkeit, Leserlichkeit und dem strukturierten Schreiben. Ein Teil des Problems seien grundsätzliche Defizite in der Motorik.
Der tlv sieht eines der Hauptprobleme in der schlechten Personalausstattung der Schulen. Bei zu großen Klassen und vielen Kindern mit speziellen Anforderungen bleibe den Lehrkräften kaum Zeit, sich ausreichend mit der Betreuung einzelner Schülerinnen und Schüler zu befassen. Zudem würden manche Kinder zuhause besser unterstützt und seien so schlicht im Vorteil.
Die Digitalisierung dürfte nicht als Hauptursache verteufelt werden, erklärt Laura Kraft, Mitglied in der Gemeinschaft der Junglehrer (Junge tlv). Handschrift müsse trainiert werden, letztlich sei es aber dem Lauf der Zeit geschuldet, dass diese durch digitale Endgeräte an Bedeutung verliere. Gemessen an anderen Baustellen in Schulen sei die Frage nach einer flüssigen Handschrift aber ein Problem von vielen.
Prinzipiell sieht das Diaz Meyer ähnlich. Schreiben gehöre jedoch nach wie vor zu den Grundkompetenzen, die auch in der digitalen Welt eine wichtige Position einnähmen. «Beim Schreiben mit der Hand sind zwölf Hirnareale beschäftigt.» Lernen, Merkfähigkeit und Kreativität würden dabei gefördert. Wer nicht gut mit der Hand schreibe, dem fielen auch Lesen, Rechtschreibung oder das Mitkommen im Unterricht schwerer.
Doch nicht nur Kinder sollten den Experten zufolge öfter den Stift in die Hand nehmen. Neben der Vorbildfunktion für Kinder könnten Erwachsene auch von den positiven Effekten für Merkfähigkeit und Kreativität profitieren, die Handschrift mit sich bringe. Handschriftliche Notizen spielten eine zentrale Rolle, um sich Faktenwissen besser anzueignen, sagte Diaz Meyer.
Ob die Versäumnisse aus der Corona-Zeit aufgeholt werden können, scheint ungewiss: Das Kultusministerium verweist lediglich auf gemeinsame Ländervereinbarungen, die derzeit noch in Bearbeitung seien, und sieht die Umsetzung der in den Lehrplänen formulierten Ziele als Aufgabe der Schulen. Zudem lägen bisher keine wissenschaftlichen Studien, sondern lediglich Befragungen von Lehrern als Datenbasis vor.
Ein von der Europäischen Kommission gefördertes Pilotprojekt des Schreibmotorik-Instituts untersucht, wie Schreibkompetenzen unkompliziert fächerübergreifend gefördert werden können. Mit Ergebnissen des unter anderem in Bayern durchgeführten Projekts sei erst im Laufe des kommenden Jahres zu rechnen, sagte Leiterin Diaz Meyer. Eltern und Lehrer, die bis dahin aus eigener Kraft etwas tun wollten, fänden auf der Institutshomepage Arbeitsmaterial und Infos.