Schulkinder nach Distanzunterricht mit großen Handschrift-Defiziten
Der digitale Wandel und die Corona-Pandemie haben unter anderem bei der Handschrift von Schülerinnen und Schülern Spuren hinterlassen.
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Schule ist für Kinder und Jugendliche Alltag. Morgens aufstehen - Unterricht. Das ist zwar nicht immer beliebt, aber ein hohes Gut. Wenn es wegfällt, hat das schwerwiegende Konsequenzen, gerade für die Jüngsten und die eh schon Benachteiligten.
Paris (dpa) - Geschlossene Schulen, Lernplattformen und Eltern am Limit: Die Covid-19-Pandemie hat nicht weniger als die größte Störung der Bildungssysteme in der Geschichte verursacht. So schätzt das die UN-Kultur- und Bildungsorganisation Unesco ein. «Lernverluste drohen auch über diese Generation hinaus und machen jahrzehntelange Fortschritte zunichte», hieß es in einer Einschätzung vom vergangenen Sommer. Seitdem hat sich die Lage kaum gebessert. In Deutschland sind wieder Schulen geschlossen - wieder Fernunterricht und Notfallbetreuung. Wie wirkt sich das aus?
«Internationale Studien zeigen, dass sich die Lernentwicklung in den Zeiten, in denen Schulen wegen Corona geschlossen waren, verlangsamt hat, das Lernzeiten sich verkürzt haben», mahnt der Geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), Kai Maaz. Es gebe dabei Unterschiede zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Schülern und auch abhängig von der sozialen Herkunft.
Schüler aus sozial schwierigen Verhältnissen liefen eher Gefahr, auch beim Lernen Rückstände zu entwickeln. «Die Ungleichheit wird sich also durch die aktuelle Situation vergrößern.» Gleichzeitig werde es Kinder und Jugendliche geben, die relativ unbeschadet durch diese Corona-Zeit kommen, vielleicht sogar davon profitieren. Eine große Herausforderung werde es für die Schulen sein, mit dieser Heterogenität umzugehen. Darauf sei die Schule aktuell nicht vorbereitet.
Der Experte kritisiert, dass Deutschland in puncto Digitalisierung schlecht aufgestellt sei. «Es ist leider ganz klar, dass wir in Deutschland bei der Digitalisierung von Bildungsangeboten nicht da sind, wo wir eigentlich sein sollten», sagt er. «Dass wir da im internationalen Vergleich bereits weiter hinten liegen, fällt uns jetzt möglicherweise auf die Füße.»
Zum Zeitpunkt der Pisa-Erhebung 2018 in Deutschland waren zum Beispiel nur 33 Prozent der Schüler an einer Schule eingeschrieben, deren Schulleiter «zustimmte» oder «stark zustimmte», dass eine effektive Online-Lernunterstützungsplattform verfügbar sei, wie es in einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD heißt. Das liege weit unter dem Durchschnitt der OECD-Länder (54 Prozent).
«Deutschland ist beim Angebot virtueller digitaler Bildung noch ganz am Anfang», sagt auch Nicola Brandt, Leiterin des OECD Berlin Centre. Das gelte besonders bei der Ausbildung der Lehrkräfte. «Beim digitalen Unterricht geht es ja nicht nur darum, ein Arbeitsblatt auf eine Lernplattform zu stellen und die Kinder dann damit allein zu lassen.» Sie erinnert auch daran, dass während der Schulschließungen im Frühjahr die Schulen zu vielen Schülerinnen und Schülern einfach den Kontakt verloren haben. «Das war zum Beispiel in Frankreich ganz massiv der Fall, ist aber auch in Deutschland passiert.»
Brandt betont außerdem, dass Schule auch ein Raum sozialer Interaktion sei, ein Ort, an dem die Kinder gemeinsame Problemlösung lernten. «Da findet Gesellschaft statt.» Schule sei ebenso ein Schutzraum, der Kindern die Möglichkeit gebe, durchzuatmen. «Das ist natürlich wichtig für Kinder aus benachteiligten Familien, wo der Wohnraum beengt ist. Wenn das wegfällt, hat das auch Einfluss auf die Lernergebnisse der Kinder.» Es sei auch problematisch, wenn Nebenfächer wie Musik oder Sport wegen des Unterrichtsausfalls zu kurz kämen. Gerade diese Fächer seien wichtig für die motorische und emotionale, aber auch für die kognitive Entwicklung.
Brandt warnt, dass Unterrichtsausfall gerade die Jüngeren noch viel gravierender als die Älteren treffe. «Für die Jüngsten ist es am schwierigsten, Defizite beim Lesen oder Rechnen wieder aufzuholen, denn Lernen baut auf dem bereits Gelernten auf», sagt die Expertin. Für sie sei auch der digitale Unterricht am wenigsten geeinigt. Ähnlich sieht das Maaz vom DIPF. «Ich würde aber noch einen Schritt weiter gehen und den Blick auch auf die Kita richten», sagt er. Gerade im letzten Kitajahr werde dort bereits auf die Schule vorbereitet, bestimmte Kompetenzen würden erlernt. Auch das fehle jetzt.
Zwar sei der Blick auf die Abschlussjahrgänge zuletzt richtig gewesen. «Man muss Schülern, die vor einem Abschluss stehen, die bestmögliche Chance geben, diesen Abschluss zu machen», sagt er. Allerdings sei das mit Blick auf das Abitur im vergangenen Jahr gar nicht so problematisch gewesen. Als im Frühjahr die Schulen geschlossen wurden, sei der Stoff für das Abitur schon längst durch gewesen. Es sei hauptsächlich um die Vorbereitung auf die Prüfungen gegangen. «Wir müssen also intensiv auf das aktuelle Schuljahr schauen und die folgenden.»
Die Unesco warnt, dass Schulschließungen die Versorgung von Kindern und Gemeinden und den Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln beschränkten. Sie beeinträchtigten die Arbeitsfähigkeit vieler Eltern und erhöhten das Risiko von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Besonders hart sind die Folgen in ärmeren Ländern. Die Expertinnen und Experten sind sicher: Die Krise nimmt weltweit vor allem Kindern und Jugendlichen aus armen oder ländlichen Gebieten, Mädchen, Flüchtlingen, Menschen mit Behinderungen und gewaltsam Vertriebenen die Möglichkeit, weiter zu lernen.